Streit um Weihnachtsgeld an 20.368 BewohnerInnen von Alten- und Pflegeheimen - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 10.01.2006


Streit um Weihnachtsgeld an 20.368 BewohnerInnen von Alten- und Pflegeheimen
Anja Kesting+Sharon Adler

Dr. Heidi Knake-Werner (Linkspartei), Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz äußert sich hier zu der von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ausgesprochenen "pädagogischen Maßnahme".




Dr. Frau Knake-Werner zahlte im Dezember 2005 an 20.368 bedürftige HeimbewohnerInnen ein Weihnachtsgeld in Höhe von jeweils von 30,68 Euro, da mit der Reform des Sozialhilferechts zwar Einmalzahlungen abgeschafft wurden, doch im Gegensatz zu den übrigen HilfeempfängerInnen die HeimbewohnerInnen nicht vom gleichzeitig erhöhten Regelsatz profitieren. Das Sozialhilfegesetz des Bundes beinhaltet die Zahlung eines Weihnachtsgeldes zwar nicht mehr ausdrücklich, verbietet sie jedoch auch nicht. Bereits 9 von 16 Bundesländern haben die nun "freiwillige Leistung" gestrichen. Nach Meinung der Sozialsenatorin jedoch haben die SeniorInnen einen Anspruch auf diese Zahlung.

Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ließ - wohl auch wegen der Haushaltsnotlage-Klage in Karlsruhe - durch den Sprecher der Finanzverwaltung, Matthias Kolbeck, verlauten: "Das können wir uns nicht leisten".

Frau Dr. Knake-Werner wandte sich wegen des Gerangels um das Weihnachtsgeld auch an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Ohne Erfolg.
Nun sperrte Sarrazin Haushaltsgelder, mit denen der Etat des "Berliner Betriebs für gesundheitliche Aufgaben" ausgestattet werden sollte, um die bereits ausgezahlte Sonderzahlung auszugleichen. Denn das dort vorhandene Finanzloch von geschätzten 1,5 bis 2 Millionen Euro muss gestopft werden. Die Finanzverwaltung nennt die Sperre eine "pädagogische Maßnahme".

In unserem Kurzinterview äußert sich die Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz zu den Vorgängen.

AVIVA-Berlin: Sie haben im Dezember 2005 20.368 bedürftigen BewohnerInnen von Alten- und Pflegeheimen ein Weihnachtsgeld von jeweils 30,68 Euro gezahlt und sich damit jede Menge Ärger eingehandelt - wie fühlen Sie sich damit? Würden Sie es wieder tun?
Dr. Heidi Knake-Werner: Ja, natürlich würde ich wieder so entscheiden. Ich finde es richtig, den Ärmsten der Armen wenigstens zu Weihnachten die Möglichkeit zu geben, ein paar kleine Geschenke zu machen, zusätzliches Porto für Grußkarten zu haben oder einen Friseur besuchen zu können. Zudem gehe ich davon aus, dass bei der Veränderung der Bundesgesetze hier versehentlich eine Regelungslücke entstanden ist, die ich - wie einige andere Bundesländer auch - im Sinne der Betroffenen interpretiert habe.

AVIVA-Berlin: Finanzsenator Thilo Sarrazin will offenbar ein Exempel statuieren. Er verwehrte Ihnen den Zugriff auf 2,5 Millionen Euro, die im Sozial-Etat 2005 noch übrig geblieben waren. Er nennt es eine "pädagogische Maßnahme". Ist diese Reaktion nicht oberlehrerhaft oder fast schon pubertär?
Dr. Heidi Knake-Werner: Es ist seine Reaktion auf einen wochenlangen Streit. Allerdings sollte man sich davor hüten, Politik mit Pädagogik zu verwechseln.

AVIVA-Berlin: Mit den 2,5 Mio. wollten Sie ein Finanzloch beim Berliner Betrieb für gesundheitliche Aufgaben (BBGes) stopfen. Dieser ist unter anderem für die Kontrolle von Arzneien und Lebensmitteln sowie die Abwehr von Tierseuchen zuständig. Kann der Betrieb jetzt noch seinen Aufgaben 100prozentig gerecht werden? Es scheint als habe Verbraucherschutz in den Augen von Sarrazin keinen hohen Stellenwert oder spielen hier auch persönliche Antipathien mit?
Dr. Heidi Knake-Werner: Es geht nicht um persönliche Antipathien, sondern um Politik. Auch Herr Sarrazin findet Verbraucherschutz wichtig, nur streiten wir über den Umfang der notwendigen Leistungen. Dass der Betrieb für zentrale gesundheitliche Aufgaben den Anforderungen gerecht werden kann, ist im letzten Jahr deutlich geworden. Allerdings mussten wir dafür erheblich mehr finanzielle Mittel aufwenden, als ursprünglich im Haushaltsplan vorgesehen waren. Das wollten wir aus den nun gesperrten Mitteln ausgleichen und müssen es nun anders bewerkstelligen.

AVIVA-Berlin: Das Krematorium in der Gerichtstraße wurde für 5,4 Mio. Euro erneuert und dann nach 11 Monaten stillgelegt (Quelle: Bund der Steuerzahler). Einerseits wird Geld verschleudert, andererseits sind nicht einmal 30 Euro für alte Menschen übrig, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben? Spart Sarrazin am falschen Ende? Ist es nicht peinlich, wie Deutschland sich als reiche Industrie-Nation gegenüber den Menschen verhält, die das Land nach dem Krieg wiederaufgebaut haben?
Dr. Heidi Knake-Werner: Es gibt sicher immer auch solche Beispiele, wo man sinnvoller einsparen kann. Bei den Ärmsten der Armen zu sparen halte ich jedoch für unzivilisiert und angesichts des Reichtums in diesem Land auch für völlig unangebracht und unnötig.

AVIVA-Berlin: Sarrazin hielt es - mit Blick auf die Haushaltsnotlage-Klage in Karlsruhe - nicht für gerechtfertigt, dass Berlin sich großzügig gegenüber Sozialschwachen verhält. "Das können wir uns nicht leisten", sagte der Sprecher der Finanzverwaltung, Matthias Kolbeck. Haben Sozialschwache keine Lobby in Berlin?
Dr. Heidi Knake-Werner: Natürlich hat der Finanzsenator den Auftrag, auf die Haushaltsnotlage Berlins hinzuweisen und der Senat in seiner Gesamtheit hat sich der schwierigen Aufgabe der Konsolidierung der Finanzen gestellt. Aber man muss bei aller Sparsamkeit auch die Kirche im Dorf lassen (können). Gerade für diejenigen, die staatlicher Hilfe besonders bedürfen, muss diese auch gewährt werden.

AVIVA-Berlin: Vergeht Ihnen nicht die Freude an Ihrer Tätigkeit als Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, wenn Ihnen laufend Knüppel zwischen die Beine geworfen werden?
Dr. Heidi Knake-Werner: Ich bin ja nicht angetreten, um viel Freude zu haben, sondern um für die Berlinerinnen und Berliner unter den gegebenen Bedingungen möglichst viel zu erreichen. Ich setze mich in vielen Fragen durch. Das ist nicht immer einfach, aber ich bin hartnäckig und meist gelingt uns im Senat ja ein Einvernehmen. Und das macht dann wieder froh.

AVIVA-Berlin: Was erhoffen Sie sich als Frau und Politikerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Dr. Heidi Knake-Werner: Dass sie anderen Frauen Mut macht, Verantwortung auch in den höchsten Ämtern zu übernehmen. Und ihre bisherige konsequente und bescheidene Amtsführung könnte durchaus beispielgebend sein für das oft gockelhafte männliche Amtsgehabe... Politisch stehen wir bekanntermaßen auf unterschiedlichen Seiten.


Public Affairs

Beitrag vom 10.01.2006

AVIVA-Redaktion